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Wahlalter und Jugendparlamente: Demokratie will erlernt sein

Viele junge Menschen wünschen sich „einen starken Führer”. Wie lässt sich ihr Interesse an der Demokratie steigern? Kinder- und Jugendgremien haben sich bewährt, und auch ein auf 16 Jahre gesenktes Wahlalter führt zu messbaren Effekten.
von Harald Lachmann · 9. Januar 2024

Fallen Wahlergebnisse anders aus, wenn schon 16-Jährige ihre Stimme abgeben dürfen? Dies bewegt immer wieder Politiker und Soziologen, doch klare Antworten finden sich schwer. Einig sind sich zwar die meisten darin, dass 15- bis 17-Jährige nicht weniger reif sind als etwa 19-Jährige, um politisches Geschehen zu verfolgen und zu bewerten. Und mehr noch: Mit 16 gehen viele noch nur Schule, sie haben also mehr Zeit und Muße, sich mit Politik zu ­beschäftigen, als mit 18 oder 20, wenn die große Umbruchphase ihres Lebens beginnt – so die Politikwissenschaftler Thorsten Faas und Arndt Leininger in der „Jugendwahlstudie 2021“ für die Otto-Brenner-Stiftung.

Die Clique trifft sich am Wahllokal

Auch Lennox Doernbrack, ein 17-jähriger Gymnasiast aus dem brandenburgischen Woltersdorf, nennt seine Generation „megapolitisch“. Unbedingt sollten schon 16-Jährige wählen dürfen, „und zwar hinauf bis zum Bundestag“. Von seinen Freunden gingen jedenfalls die meisten wählen, und sie stimmten auch sehr bewusst ab. „Als es zur jüngsten Landratswahl darum ging, einen AfD-Mann zu verhindern, haben wir uns dazu gezielt als Clique am Wahllokal verabredet“, erzählt er. Damit konterkariert er auch eine These jener Studie, wonach über 60 Prozent der 18- bis 29-Jährigen glauben, „keinen Einfluss darauf zu haben, was die Regierung macht“. Ein Viertel von ihnen wünsche sich sogar einen „starken Führer“.

Indes ist Lennox Doernbrack bereits Mitglied der SPD und inzwischen einer der Sprecher im Dachverband der Kinder- und Jugendgremien in Brandenburg. Und er trifft mit seinen Gedanken auch den Nerv der Berliner Ampel-Parteien, die das Mindestwahlalter gern senken würden. Doch dazu müssten sie mit Zweidrittelmehrheit das Grundgesetz ändern, mithin gegen den Willen von CDU und AfD.

Wählen ab 16 lässt Wahlbeteiligung steigen

Allein, dass 1,3 Millionen Deutsche zusätzlich abstimmen könnten, wenn 16- und 17-Jährige mitwählen dürften, bildet für den SPD-Bundestagsabgeordneten Sebastian Hartmann einen lohnenden demokratischen Effekt. Eine Analyse der Friedrich-Ebert-Stiftung zum Wahlverhalten junger Deutscher zur Bundestagswahl 2021 gibt ihm hierbei durchaus recht. ­

Indes muss man hier genauer hinsehen. Denn Brandenburg, Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein, wo zu diesem Zeitpunkt bereits auf Landesebene U18-Jährige wählen durften, stieg die Wahlbeteiligung auch bei den 18- bis 20-Jährigen um deutliche 4,6 Prozent gegenüber 2017 an. In jenen fünf Ländern, in denen vorerst nur kommunal ab 16 gewählt wird, fiel dagegen dieser Effekt mit gerade einem Prozent plus spürbar geringer aus.

Jugendparlamente in Kommunen

Doch gerade die Kommunen haben es in der Hand, das politische Geschehen für ihren Nachwuchs attraktiver zu gestalten, etwa durch spezielle Beteiligungsinstrumente. Die Gemeindeebene sei wie geschaffen für junge Menschen, sich einzubringen, da sie hier Politik in ihrem Lebensumfeld erleben und gestalten können und von vielen Planungen und Entscheidungen unmittelbar betroffen sind, so ­Anja Looke. Sie koordiniert im brandenburgischen Strausberg seit 2011 das Kinder- und Jugendparlament. Bundesweit arbeiten um die 520 solcher ehrenamtlichen Gremien, was jedoch bei 11.059 deutschen Gemeinden so viel nicht ist.

Das SPD-geführte Brandenburg steht hier mit über 50 Kinder- und Jugendbeiräten, -parlamenten, -räten oder -foren überdurchschnittlich gut da. Zumeist handelt es sich um Beiräte, die demokratische Entscheidungsprozesse für die Mitglieder nachvollziehbar machen und Chancen zur Neu- oder Andersgestaltung bieten.
So auch in Woltersdorf, wo Lennox Doernbrack zu den Aktivisten zählt. „Hier kann jeder dazustoßen, der Lust dazu hat und etwas für seinen Ort bewegen will“, erläutert er. Die Mitglieder würden also nicht gewählt. Und mit der Zeit habe er dabei „immer mehr gemerkt, wie wichtig es ist, dass auch die Perspektive junger Menschen beachtet wird“. Indes sei ihre Akzeptanz bei den verschiedenen ­Parteien und Abgeordneten recht unterschiedlich ausgeprägt.

Offene Ohren für Jugendliche in Strausberg

Anders in Strausberg, wo das Parlament alles zwei Jahre neu gewählt wird. Für Anja Looke keine leichte Aufgabe, denn für die 32 Plätze kandidierten im Herbst 59 Bewerber, zumeist 10- bis 12-Jährige. Indes kann sie dabei auf viel Wohlwollen im Rathaus bauen. „Die Stadtverordneten wollten dieses Gremium, und ich erlebe sie auch durchweg sehr offen für unsere Empfehlungen“, freut sie sich.

Selbst bei der Vergabe von Fördermitteln habe im Bildungsausschuss das Wort der Kinder und Jugendlichen viel Gewicht. Sie könnten auch eigene Themen einbringen, etwa zu Spielplätzen, Jugendtreffs, Radwegen oder zur Nahverkehrsplanung. Gerade bei Radwegen sei das sehr hilfreich, so Anja Looke, da sie einen anderen Blick für Gefahrenstellen hätten.

Autor*in
Harald Lachmann

  ist diplomierter Journalist, arbeitete zunächst als Redakteur bei der Leipziger Volkszeitung, zuletzt als Ressortleiter Politik, und schreibt heute als freier Autor und Korrespondent für Tages-, Fach- sowie Wirtschaftszeitungen. Für die DEMO ist er seit 1994 tätig.
 
 

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