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Stadt unter: Wie Kommunen die Ostseeflut-Folgen bewältigen

An der Ostsee hat die schwerste Sturmflut seit mehr als hundert Jahren gewütet, mit Schäden in dreistelliger Millionenhöhe. An den Küsten will man in Zukunft besser gerüstet sein
von Susanne Dohrn · 29. Dezember 2023

Als Iris Ploog sich am Morgen der Katastrophe im Baumarkt knielange Gummistiefel kauft, wird sie von manchem noch belächelt. Ist halt mal wieder Schietwetter angesagt. Wird schon nicht so schlimm, denken viele. Küstenbewohner sind gestählt. Schwere Sturmfluten an der Ostsee gibt es selten, und ein Sturm beginnt erst, wenn die Schafe keine Locken mehr haben, erzählt die Bürgermeisterin von Eckernförde. Iris Ploog hat an diesem Freitag schon mehrere Tage Krisensitzungen hinter sich: mit Feuerwehr, Technischem Hilfswerk (THW), mit Ordnungsamt und Kreisverwaltung.

60.000 Sandsäcke entlang der Eckernförder Bucht

Die Katastrophen­zentrale ist startklar, die Funkverbindungen sind eingerichtet, falls die Handys ausfallen sollten. Sandsäcke werden befüllt, zunächst von Hand, dann mit einer extra aus einem anderen Kreis herangeschafften Maschine. Tausend Stück schafft die in der Stunde, jeder zu zwei Dritteln gefüllt, damit die Säcke sich beim Verlegen so flexibel aneinanderschmiegen, dass sie kein Ostseewasser durchlassen. Am Ende sind es 60.000, die entlang der Eckernförder Bucht, vor Privathäusern, Hotels, Pensionen, Restaurants und öffentlichen Gebäuden verlegt werden. Jeder von ihnen ist 20 Kilo schwer. Im nassen Zustand sind es zehn Kilo mehr, Knochenarbeit.

Seit Ende Mai dieses Jahres ist Iris Ploog Bürgermeisterin in der Ostseestadt. Die Nacht von Freitag auf Samstag, vom 20. zum 21. Oktober, wird für die Sozialdemokratin zur Neptunstaufe. Die Flut steigt und steigt, hinzu kommt die vom Wind aufgepeitschte Brandung. Am Ende steht das Wasser in Eckernförde bei 2,15 Meter über Normal Null. „Deutlich höher als die Prognose“, sagt die Bürgermeisterin. In Flensburg sind es sogar 2,27 Meter. Es ist der höchste Stand seit mehr als hundert Jahren. Am Abend muss der Krisenstab in Eckernförde Hals über Kopf die Feuerwache räumen, in der er sich eingerichtet hat. Er zieht um ins höher gelegene Schulzentrum. „Wir sind durch knietiefes Wasser gelaufen, um zu den Fahrzeugen zu kommen“, erinnert sich die Bürgermeisterin.

Katastrophenalarm in Rendsburg

20.58 Uhr ruft der Landrat in Rendsburg Katastrophenalarm aus. Später fällt in Teilen von Eckernförde der Strom aus.Die Stadt steht vor der Entscheidung, ob sie einzelne Stadtteile evakuieren muss: „Gibt es dort Menschen, die auf ein ­Sauerstoffgerät angewiesen sind, die ­Hilfe brauchen, im Dunkeln Angst haben? Wir standen sogar kurz davor, ein Hotel zu räumen, weil die Terrasse unterspült war“, sagt die Bürgermeisterin. Entlang der Küste brechen Deiche. Im Kurort Damp stehen die Feuerwehrleute bis zum Bauch im Wasser, erzählt Gunnar Bock, Amtsdirektor vom Amt Schlei-Ostsee. Kurz nach Mitternacht lässt der Wind nach, das Wasser geht zurück.

Die Schäden der Jahrhundertflut werden im Laufe der folgenden Tage sichtbar. Allein im Amt Schlei-Ostsee sind es etwa zehn Millionen Euro für Schäden an öffentlicher Infrastruktur, an Deichen, Wanderwegen, Kurpromenaden, Parkplätzen und Stränden, schätzt Amtsdirektor Bock, bei dem die Fäden zusammenlaufen. An den Steilküsten sind die Treppen hinunter zum Strand unterspült. „Im Segelhafen von Damp hat der Sturm mit den Schiffen Mikado gespielt. Da muss die ganze ­Hafenanlage neu“, sagt Bock. In Eckernförde ist ein großes Stück vom Strand weggespült, und damit ein Teil des Küstenschutzes. Die Kurpromenade ist teilweise zerstört, das direkt am Strand gelegene DLRG-Heim ist arg mitgenommen. Die Bürgermeisterin von Eckernförde schätzt die Schäden nach einer ersten Berechnung in ihrer Stadt auf 3,16 Millionen Euro, die Schäden am Privateigentum nicht mit eingerechnet.

Wer zahlt für kaputte Deiche?

Auf so eine Jahrhundertflut war die Ostseeküste nicht vorbereitet. Das zeigt sich inzwischen an vielen Stellen. Für die Zukunft will man besser gewappnet sein. „Wir sind der flächengrößte Kreis im Land Schleswig-Holstein. Wir haben viel Küste“, sagt Amtsdirektor Bock. Als erste Maßnahme soll eine automatische Sandfüllmaschine bestellt werden. Am teuersten sei, so Bock, die Reparatur der Deiche. Hier wird es kompliziert. „Anders als an der Westküste sind die meisten Deiche an der Ostsee keine Landesschutzdeiche sondern Regionaldeiche“, erklärt der Amtsdirektor. Das rächt sich jetzt, denn für die Regionaldeiche sind die Wasser- und Bodenverbände zuständig. Die hätten oft nur einen Jahresetat von wenigen Tausend Euro. „Die Mitglieder machen das ehrenamtlich und sind meist Landwirte, die über den Verband ihre Flächen entwässern.“ Bock: „Die müssten nun 3,5 bis 4 Millionen für die Reparatur aufbringen. Das ist völlig ausgeschlossen.“

In einer Zeit, in der der Klimawandel auch den Meeresspiegel in der Ostsee ansteigen lässt – nach Experten sind es etwa vier Millimeter pro Jahr – passt das Konzept nicht mehr in die Zeit. Das hat auch die Landesregierung eingesehen. Dort wird derzeit überlegt, einen Teil der Regionaldeiche in Landesschutzdeiche umzuwandeln und damit die Finanzierung zu übernehmen. Auf das Land kämen dann 75 bis 150 Millionen Euro zu, rechnete Umweltminister ­Tobias ­Goldschmidt ­(Grüne) kürzlich vor, eine Summe, die Schleswig-Holstein kaum bewältigen kann. Ähnlich ergeht es Mecklenburg-Vorpommern, wo Umweltminister Till Backhaus (SPD) die Bundesregierung ebenfalls bittet, zusätzliche Mittel bereitzustellen.

Inzwischen sind die gröbsten Schäden beseitigt und die Notsicherungsmaßnahmen der beschädigten Deiche bewältigt. Auch in Eckernförde sieht man ein paar Wochen nach der Flut nur noch wenig von der Katastrophe. Freiwillige halfen, die Pflastersteine der zerstörten Kurpromenade aufzunehmen, den Strand aufzuräumen, die Sandsäcke zu leeren, die nun nicht mehr gebraucht wurden. Ein privater Fluthilfefonds wurde eingerichtet mit mehr als 70.000 Euro Spendengeldern für Privateigentümer, denn eine Elementarschadenversicherung hilft nicht bei Sturmflut, so die Verbraucher­zentralen. Weil Trocknungsgeräte viel Strom brauchen, übernehmen die Stadtwerke einen Teil der Stromkosten. „Der Zusammenhalt ist unglaublich groß“, lobt die Bürgermeisterin.

Wiederaufbaufonds beschlossen

Um für die Zukunft gerüstet zu sein, wird in der Stadt derzeit an einem ­Katastrophenschutzplan gearbeitet: Wo können wir Wärmeinseln anbieten? Wann müssen wir wo den Strom abschalten? Haben wir genug Notstromaggregate? Wer wird wann und wie informiert? Beim Deichbau hingegen sind Kreis, Land und Bund gefragt. Das Land hat einen Wiederaufbaufonds für die kommunale Infrastruktur von 200 Millionen Euro beschlossen, der hälftig vom Land und von den Kommunen bezahlt werden soll. Sollte sich der Bund an den Kosten beteiligen, würden sich die Kosten von Land und Kommunen zu gleichen Teilen reduzieren. Die Details der Reglungen stehen noch aus, heißt es bei der Landesregierung. Und die Touristen? „Die können auf jeden Fall wiederkommen. Man kann auch jetzt hier toll Urlaub machen, immer noch“, sagt die Bürgermeisterin, im Winter mit dicken Socken und Gummistiefeln für den Strandgang.

Autor*in
Susanne Dohrn

ist freie Autorin und SPD-Ratsfrau in Tornesch

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