Der Feuerlöscher
Philipp Eisermann
Manchmal verhält es sich mit der Politik wie mit Fußball-Schiedsrichtern. Über diese heißt es: Wenn niemand über sie redet, haben sie ihren Job gut gemacht. Gesprochen wird viel über Upahl, eine kleine Gemeinde in Nordwestmecklenburg. Hier entsteht ein Containerdorf für 250 Geflüchtete, ursprünglich sollten es sogar 400 sein. Viele Neuankömmlinge für eine Gemeinde, die nur rund 1.600 Einwohner zählt. Seit Monaten wird gegen die Unterkunft protestiert, auch Neonazis laufen mit. Dem Landrat Tino Schomann (CDU) verschaffte dies bundesweite Aufmerksamkeit. Er saß bei Maybritt Illner, in Phoenix-Runden und sprach in „BILD-TV”. Seine Botschaft: „Wir sind am Ende.“ So viele Geflüchtete aufzunehmen, sei nicht zu schaffen.
Kleine Solidaritätskundgebung
Im benachbarten Landkreis Ludwigslust-Parchim kommen ebenfalls viele Schutzsuchende an. „Das funktioniert ganz gut“, berichtet Landrat Stefan Sternberg (SPD). Auch in seinem Kreis wurde kürzlich eine neue Unterkunft in einer kleinen Gemeinde eröffnet: in Demen. Eine Einwohnerversammlung zum Thema sei emotional gewesen, sagt Sternberg. Insgesamt laufe es aber harmonisch. Als der Kreistag sich im März mit der Unterkunft befasste, gab es sogar eine kleine Solidaritätskundgebung in der Nähe des Sitzungsgebäudes.
Der Landrat sieht im Zuzug eine Chance für seinen großen, aber dünn besiedelten Landkreis. Neue Arbeitskräfte würden schließlich gebraucht. Als im vergangenen Jahr die Zahl der Geflüchteten stieg, war Ludwigslust-Parchim gut vorbereitet. Der Kreis beschäftigt mehrere Wohnungsmanager, die sich ausschließlich darum kümmern, Häuser und Grundstücke zu sichten. Auch dann, wenn gerade keine „Flüchtlingswelle“ rollt. Während anderswo viele Menschen in Turnhallen schlafen, schaut man hier genau: Welche Wohnung passt zu Familien, welche eher zu Alleinreisenden? Wie ist die Durchmischung im Quartier, gibt es Kitas und Schulen? „Wir legen sehr viel Wert darauf, dass möglichst jeder sein eigenes Zimmer hat, dass Familien in eigenen Wohnungen im Familienzusammenhang leben“, sagt Sternberg. Das wirke auch deeskalierend. Zum Beispiel, weil die Menschen nicht mehr in der Stadt herumlungern, wenn sie zu Hause Rückzugsräume und Privatsphäre haben.
Sternberg ist keiner, der sich selbst auf die Schulter klopft. Von Vergleichen mit anderen Landkreisen hält er wenig. Was bei ihm im Kreis gut läuft, schreibt er einer guten Teamarbeit zu. Wer ist dieser Mann?
„Ich hatte Glück im Unglück”
Seinem Landkreis ist Stefan Sternberg von Geburt an verbunden: 1984 kam er in Ludwigslust zur Welt, aufgewachsen ist er in Grabow. Dass seine Kindheit nicht einfach war, deutet er im Gespräch mit „vorwärts-kommunal” an: „Ich wäre wahrscheinlich heute ein Kind, das das Jugendamt seinen Eltern wegnehmen würde.“ Damals in den 1990er Jahren sei die Jugendhilfe in Mecklenburg noch im Aufbau gewesen. Doch er habe Glück im Unglück gehabt, sagt er. Weil er ehrenamtlich aktiv war, lernte er Menschen kennen, die ihm viel zutrauten und ihm einen beruflichen Aufstieg ermöglichten. Schon mit 14 Jahren begann Sternberg, sich kommunalpolitisch zu engagieren. Er wurde Vorsitzender des neu gegründeten Jugendrates. „Damals wussten die Jugendlichen in Grabow nicht, was sie machen sollen, weil nicht mehr viel los war in der Stadt“, erzählt er. Die Initiative für den Rat ging von der damaligen Ordnungsamtsleiterin aus. Sternberg wurde gefragt, weil er stellvertretender Schülersprecher an seiner Schule war. Eine tolle Truppe sei das gewesen, schwärmt er. Der Jugendrat organisierte Stadtfeste und Weltrekordversuche: den größten Schaumkuss der Welt, die größte Umarmung der Welt. Auch um politische Fragen ging es: ein Jugendhaus, Präventionsprojekte.
Als Sternberg 18 Jahre alt war, sprachen ihn zwei Parteien an, ob er nicht für die Stadtvertretung kandidieren wolle: die CDU und die SPD. Er entschied sich für die Sozialdemokraten. Überzeugt haben ihn die Menschen, die damals in der Grabower SPD aktiv waren: alte Haudegen, die schon 1990 während der Friedlichen Revolution mit am Runden Tisch gesessen hatten. In dem jungen Politiker sahen sie aber keine Konkurrenz, sondern förderten ihn.
Auch beruflich öffnete die Arbeit im Jugendrat ihm Türen. Als Sternberg seinen Realschulabschluss in der Tasche hatte, nahm ihn Christian Wendt unter seine Fittiche, ein stadtbekannter Kaufmann. Bei ihm ging Sternberg in die Lehre, verkaufte Herrenanzüge und lernte unternehmerisches Denken. Die Ausbildung schloss er vorzeitig ab.
Eine Begabtenförderung der Industrieund Handelskammer ermöglichte ihm anschließend eine Ausbildung zum Handelsfachwirt mit Schwerpunkt Personalführung. Wendt war es auch, der Sternberg zum Abschied die Idee in den Kopf setzte, Bürgermeister von Grabow zu werden. Rund zehn Jahre später, im Jahr 2013, erfüllte sich dieser Wunsch des ehemaligen Lehrmeisters. 2018 wurde Sternberg zum Landrat von Ludwigslust-Parchim gewählt.
Frühe Bewährungsprobe
Seine Feuertaufe bestand er im Jahr darauf, als im Landkreis große Waldbrände ausbrachen. Auch 2023 brannte es wieder, vier Tage lang auf zwei verschiedenen Flächen. Der Landrat musste 2.500 Einsatzkräfte führen. „Ich wünsche das keinem“, sagt Sternberg über diese Erfahrungen. Über die Brände 2019 gibt es eine TV-Dokumentation, doch er kann sie sich nicht komplett anschauen. Der Politiker hat aus dieser Zeit noch Bilder im Kopf von Menschen, die Hühner im Kofferraum ihres Autos verstauten, als sie evakuiert wurden. Eine alte Dame hat ihre Haustür gestreichelt, weil sie Angst hatte, ihr Haus nicht wiederzusehen. Der Wald war munitionsbelastet, Sternberg hörte Explosionen. „Da wird einem als Landrat eigentlich erst bewusst, welche Verantwortung auf den Schultern liegt.“ Gemeinsam mit seinem Team hat er Lehren aus dem Feuer 2019 gezogen. Es wurden breite Brandschneisen angelegt. Ein Feuer, dass sich 2019 auf 1.000 Hektar ausgebreitet hatte, konnte diesmal auf ein Zehntel der Fläche eingegrenzt werden. Dazu beigetragen haben auch Kreisregner und 15 Tiefbrunnen. Waldbrand-Spezialfahrzeuge aus allen Landkreisen Mecklenburg-Vorpommerns halfen mit, das Feuer zu löschen.
Das bestimmende Thema seiner ersten Jahre als Landrat war aber ein anderes: die Zukunft der kommunalen Krankenhäuser. Die Herausforderung: Der Landkreis hat 4.750 Quadratkilometer, aber nur 214.000 Einwohner. „Ich bräuchte das Zehnfache mehr an Menschen, damit sich die Krankenhäuser rechnen“, sagt Sternberg. Schließen kann und will er sie nicht, weil die Rettungswege sonst zu lang würden.
Stattdessen wurden die drei Krankenhäuser in Ludwigslust, Hagenow und Crivitz unter einem Dach vereint: Der Landkreis hat die „LUP-Kliniken“ gegründet. Es gibt damit nur noch eine Struktur, einen ärztlichen Direktor, eine Verwaltung. Lizenzgebühren für die Krankenhaus-Software müssen nicht mehr dreimal bezahlt werden. Jedes Haus konzentriert sich auf Aufgaben, die es besonders gut kann. Ein Standort deckt die Orthopädie ab, ein anderer die Pädiatrie für Kinder. In allen drei Häusern soll die Bevölkerung eine gute Erstversorgung erhalten. Die neue Struktur spart Millionen von Euro, sagt der Landrat. Im Prinzip vollzieht der Landkreis im Kleinen, was Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach mit der Krankenhausreform im Großen plant.
Der Kanzler wollte seinen Rat
Die Bundespolitik hat schon einmal bei Sternberg angeklopft. Bundeskanzler Olaf Scholz war gerade erst vereidigt, als der Landrat einen Anruf aus dem Bundeskanzleramt bekam. Er wurde in den Corona-Expertenrat der Bundesregierung eingeladen, als einer von zwei kommunalen Vertretern. Der Rat sollte Empfehlungen für die Politik erarbeiten. Sternberg fragte sich zuerst, was er zwischen den vielen Wissenschaftlern sollte. Heute sagt er, es sei eine der interessantesten Erfahrungen seiner bisherigen Amtszeit gewesen. „Ich habe unglaublich viel gelernt. Gleichzeitig habe ich gemerkt, wie dankbar die anderen waren, dass jemand auch mal praktische Beispiele aus einem Gesundheitsamt einbringen konnte. Oder erklären, wie die Bevölkerung im ländlichen Raum auf die eine oder andere Regel reagiert.“ Den Wissenschaftlern erzählte er, dass ein Landrat während eines Lockdowns froh ist, wenn er vor dem Feuerwehrhaus trotzdem ein paar Autos stehen sieht. Wenn es brennt, brauche man schließlich Leute, die losfahren können. „Wir haben intern diskutiert, aber sind mit einer Meinung rausgegangen“, sagt Sternberg. Solche Gremien sollte es auch für andere Themen geben, meint er.
DIRK BLEICKER
ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.