Warum das Thema Kinderrechte Chefsache ist
Anke Illing
DEMO: Der Arbeit des „Vereins Kinderfreundliche Kommunen“ liegt die Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte des Kindes zugrunde. Wobei geht es dabei?
Dominik Bär: Die Kinderrechte sind ein Teil der Menschenrechte. Sie sind 1989 formuliert worden, weil Kinder als noch in der Entwicklung befindliche Menschen an einigen Stellen eigene Rechte brauchen. Deutschland ist 1992 beigetreten und zwar nicht nur auf der Bundesebene, sondern auch auf der Landes- und kommunalen Ebene. Von daher versuchen wir, die Städte und Gemeinden dabei zu unterstützen, kinderfreundlich im Sinne der Umsetzung der Kinderrechte der Vereinten Nationen zu werden. Das bedeutet, dass wir uns die Städte und Gemeinden und – jetzt ab diesem Jahr – auch die Landkreise anschauen, wo es noch Entwicklungspotenzial oder Leerstellen gibt, wo die Kommune etwas für die Kinderrechte machen kann.
Welcher Artikel der UN-Konvention ist in diesem Zusammenhang wichtig?
Unser Dreh und Angelpunkt dabei ist der Artikel drei der UN-Kinderrechtskonvention, also der Vorrang des Kindeswohls. Das ist nämlich eine Aufgabe für Verwaltungen jeglicher Art, für staatliche Träger der Jugendhilfe, aber auch darüber hinaus. Das bedeutet, dass das beste Interesse der Kinder und Jugendlichen, sobald sie betroffen sind, ein Gesichtspunkt ist, der vorrangig abzuwägen ist. Das ist aber oft den Verwaltungen außerhalb der für Jugend zuständigen Bereiche nicht bewusst oder bekannt.
Werden Kinderrechte aus Ihrer Sicht zu wenig beachtet?
Wir haben immer noch schlechte Vorzeichen. Der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder hat vom Familienministerium als „Gedöns“ gesprochen. Genau aus dieser „Gedöns-Ecke“ wollen wir die Kinderrechte und die Kinder-Themen herausheben, weil es sich dabei um ein ganz strategisches, wichtiges Thema handelt.
Welche Bereiche sehen Sie als besonders grundlegend für das Kindeswohl an?
Das Interesse des Kindes muss vorrangig bei der Verkehrsplanung, im Bereich Mobilität, Sicherheit, Sauberkeit, Grünflächen, Planung, aber auch bei der Haushaltsaufstellung mitberücksichtigt werden. Außerdem fehlt oft auch die Perspektive von den Kindern und Jugendlichen im Planungsprozess der Verwaltungen. Wir versuchen, hier die Kommunalverwaltungen dafür zu sensibilisieren, dass sie sich auf den Weg machen und auch mit anderen Ressorts zusammenarbeiten müssen.
Sie sagen, man müsste die Kämmerer mit ins Boot holen. Wie geht das konkret?
Wir haben das Thema Haushaltsaufstellung intensiv bearbeitet und dabei mit den Bezirksregierungen Köln und Düsseldorf und mehreren Modellkommunen zusammengearbeitet. Dabei waren Krefeld, Remscheid, Frankfurt am Main und Stuttgart. Wir haben gemeinsam überlegt, was passieren muss, damit die Kinderrechte der Haushaltsaufstellung entsprechend berücksichtigt werden. Ein Ansatz war zum Beispiel Gender Budgeting, wo die Verteilung der Gelder auf die unterschiedlichen Geschlechter schon mit betrachtet wird. Dann wird versucht, das auch auf die Kinder zu übertragen. Daraus sind Handlungsempfehlungen entstanden.
Was raten Sie den Kommunen?
Wir raten den Kommunen, die Haushaltsaufstellung in einem strategischen Ziel auszurichten, also nicht mehr auf Zuruf aus den einzelnen Ressorts die Gelder zu vergeben, sondern zu überlegen ‘Welche strategischen Ziele wollen wir als kinderfreundliche Kommune stellen?‘ Von diesem Ziel aus kann man dann in die unterschiedlichen Ressorts nach unten schauen. Dann kann man auch analysieren, wie viel von dem Geld, was im Haushalt veranschlagt wurde, auch wirklich Kindern und Jugendlichen zugutekommt. Haushaltstransparenz herzustellen ist ein ganz wichtiger Punkt.
Wie sieht konkret der Weg für die Kommunen aus, die zertifiziert werden wollen?
Wir betrachten jede Kommune, die wir begleiten, individuell. Wo sind Anknüpfungspunkte, wo Leerstellen, wo muss nachgebessert werden? Außerdem empfehlen wir, eigene Strukturen für die Kinder-Interessensvertretung einzurichten, mit denen wir dann zusammenarbeiten, die das ganze Programm koordinieren. Wir raten dazu, Stabsstellen einzurichten und möglichst bei der Verwaltungsleitung anzusiedeln.
Wir haben das in Stuttgart zum Beispiel beispielhaft umgesetzt. Da gibt es eine Kinderbeauftragte, die direkt beim Oberbürgermeister angesiedelt ist. Auch in Mannheim ist es Teil der strategischen Steuerung im Bereich des Oberbürgermeisters. Ebenso in Potsdam, auch dort ist die Beauftragte für die Interessen von Kindern und Jugendlichen beim Oberbürgermeister im Büro direkt angesiedelt. So wird das Thema eben nicht nur als Teil der Jugend oder Sozialplanung behandelt, sondern es werden auch die anderen Themenfelder, die sogenannten harten Fachbereiche, mit erreicht.
Außerdem müssen die Kommunen einen Aktionsplan auflegen mit konkreten Maßnahmen, die sie angehen wollen. Der Aktionsplan muss vom Stadtrat beschlossen werden, so dass er auch verbindlich ist. Die Umsetzungszeit beträgt drei Jahre. Der Aktionsplan wird von uns schon in der Entstehungsphase geprüft. Wir hatten Kommunen, wo es mehrere Überprüfungsschleifen gab und nachgearbeitet werden musste, bis das Thema wirklich auf strategischer Ebene angesiedelt war. Dann können wir davon ausgehen, dass es sich nicht nur um ein Strohfeuer handelt, sondern die Ziele langfristig erreicht werden.
Wie erfahren Kinder von den Angeboten, die es in der kinderfreundlichen Kommune gibt?
Ich stelle immer wieder fest, dass ganz viele Kinder und Jugendliche schlichtweg nicht wissen, was überhaupt in ihrer Kommune vorhanden ist, weil die Öffentlichkeitsarbeit nicht auf Kinder und Jugendliche ausgerichtet ist. Zwar gibt es die klassischen Angebote von Jugend-Freizeiteinrichtungen. Aber auch da gibt es große Lücken. Sehr wichtig ist deshalb in vielen Kommunen das Thema Öffentlichkeitsarbeit.
Pressestellen als Stabsstellen denken oft die Kinder und Jugendlichen als Zielgruppe nicht mit. Da ist es sinnvoll, mit ihnen zusammenzuarbeiten, vielleicht eine Kinder- und Jugendredaktion zu gründen, die dabei hilft, die Informationen in eine jugendgerechte beziehungsweise kindgerechte Sprache zu übersetzen.
Welche Rolle spielt Jugendbeteiligung?
Es ist aus unserer Sicht sehr wichtig, unterschiedliche Formen und Möglichkeiten der Beteiligung anzubieten. Es gibt die klassisch repräsentativen Formen, Gremien, Kinder-und Jugendbeiräte oder Parlamente. Sie bieten einfach die größte Stabilität. Sie müssen allerdings mit den Kindern und Jugendlichen zusammen entwickelt werden. Aber es braucht darüber hinaus auch offene Formen von Kinder- und Jugendbeteiligung und projektorientierte Formen, um alle Zielgruppen zu erreichen.
Wie können sich interessierte Kommunen informieren, die zwar nicht das Siegel bekommen, aber trotzdem etwas tun möchten?
Wir haben zum Beispiel mit dem Deutschen Kinderhilfswerk zusammen ein Infoportal „Kinderrechte in Kommunen“. Dies ist eine Datenbank mit vielen Gutachten zum Thema Umsetzung der Kinderrechte in Kommunen, mit Konzepten und Vorlagen. Und wir haben auf unserer Webseite Handlungsempfehlungen und verschiedene gute Praxis dargestellt. Zudem findet in diesem Jahr am 5. Dezember unsere Jahrestagung in Berlin statt, wo wir die guten Erfahrungen aus Kinderfreundlichen Kommunen dann einer breiteren Fachöffentlichkeit vorstellen wollen.
ist Redakteurin beim vorwärts-Verlag und schreibt für die DEMO – Das sozialdemokratische Magazin für Kommunalpolitik.