Aktuelles

Lokalzeitungen als Bollwerk gegen extreme Parteien

Wo die Lokalzeitung fehlt, punktet die AfD. Maxim Flößer hat den Zusammenhang in seiner Master-Arbeit erforscht. Immer mehr Redaktionen verschwinden. Neugründungen wie in Flensburg sind selten. SPD-Politikerin Simone Lange hat den Schritt gewagt.
von Uwe Roth · 26. März 2024

Simone Lange hat die Seite gewechselt. Sie ist in schwierigen Zeiten eine lokale Verlegerin geworden. Die 47-Jährige war bis vor einem Jahr Oberbürgermeisterin von Flensburg (98.000 Einwohner). Davor war sie Abgeordnete im Landtag von Schleswig-Holstein. In der SPD kennt man Lange auch als Kandidatin für den Parteivorsitz. Nun berichten sie und ihr fünfköpfiges Redaktionsteam in einer Wochenzeitung über die nördlichste Stadt Deutschlands. Sie hat dazu die Wirklich Verlag GmbH gegründet. Mit eigenem Kapital, wie sie betont. Die Wochenzeitungen „Moin Moin“ und „Palette Nordfriesland“ (Auflage rund 180.000) waren Anfang vergangenen Jahres eingestellt worden. Der Verlag hatte das Aus mit „einer Verdreifachung des Papierpreises, hohen Energiekosten und dem gestiegenen Mindestlohn“ begründet.

Davon hat sich Lange nicht abschrecken lassen. „Ich wollte in diese Lücke stoßen“, sagt sie. Der ungewöhnliche Name für den Verlag, sei ihr Einfall gewesen. „Ich wollte einen Namen, der sich vom Üblichen komplett abhebt.“ Er sorgt zumindest für Aufmerksamkeit. Ihr journalistisches Angebot versteht die Neu-Verlegerin nicht als Konkurrent zum Platzhirsch „Flensburger Tageblatt“, sondern als „eine Erweiterung und Vertiefung“ der lokalen Berichterstattung. Ihre verlegerische Absicht sei nicht, in erster Linie ein politischer Gegenpol zu sein. Aber Medienvielfalt sei grundlegend für eine gut funktionierende Demokratie.

AfD braucht für Stimmenzwachs keine lokalen Zugpferde

Flensburg sei zum Glück eine weitgehend AfD-freie Zone. Die rechtsextreme Partei habe in der kreisfreien Stadt keine Geschäftsstelle. Wenn dem aber nicht so wäre und die AfD die Kommunalpolitik ins Visier nehmen würde, „würde ich kämpfen“, versichert sie. „Ich komme aus Thüringen, habe dort bis zum Abitur gelebt, und meine Eltern und Familie leben dort. Ich weiß daher, wie es sich anfühlt, eine wachsende Zustimmung der AfD vor der Nase zu haben.“

Auch in Baden-Württemberg hat die Partei Erfolge. In Meinungsumfragen lag sie Ende vergangenen Jahres bei rund 20 Prozent. In dem Bundesland gibt es mittlerweile Gebiete, die nicht mehr von einer Lokalzeitung erreicht werden. Da liegt die Frage nahe, ob das Wählerverhalten mit dem lokalen Medienangebot zusammenhängt. Max Flößer (28) ist Journalist in Stuttgart und diesem Phänomen wissenschaftlich nachgegangen. An der Universität Stuttgart hat er seine Masterarbeit abgelegt. Sie trägt den Titel „Bläddle gegen Rechtspopulismus? Einfluss von Lokalzeitungen auf den Stimmenanteil der Alternative für Deutschland bei der Landtagswahl 2021 in Baden-Württemberg“.

Im Schwäbischen steht „Bläddle“ für kleine Zeitung. Im Bundesland gibt es 1.100 Gemeinden. In rund 900 ist eine Redaktion vor Ort. In 200 Gemeinden fehlt dagegen eine Lokalzeitung. Er hat den Vergleich angestellt: Wie hat die AfD in Orten mit lokaler Berichterstattung abgeschnitten und wie in Gemeinden, in denen die nächste Lokalredaktion weit entfernt liegt?

„Präsenz von Lokaljournalismus macht einen Unterschied“

Dabei stellte er nach der Auswertung fest: „In den Gemeinden, wo kein Lokaljournalismus vorhanden ist, war die AfD im Durchschnitt um 1,6 Prozentpunkte erfolgreicher bei der Landtagswahl.“ Ihm sei aber bewusst, dass lediglich diese Betrachtung keine belegbare Aussage über den Erfolg der AfD in Gegenden mit weißen Flecken in der lokalen Medienlandschaft zulässt. Deshalb habe er in einem zweiten Schritt die Arbeitslosenzahl, die Bevölkerungsstruktur, die Präsenz von Unternehmen vor Ort, deren Jahresumsatz und weitere Dinge mit reingerechnet. Auch dann sei der Unterschied „immer noch beständig und statistisch hochsignifikant“.

Nach der Berechnung beträgt die Differenz nach seinen Angaben bei 0,6 Prozentpunkte. Ein Prozent weniger ist aus seiner Sicht nicht überraschend. Das Ergebnis sei dennoch „ein sehr starkes Indiz dafür, dass die Präsenz von Lokaljournalismus einen Unterschied macht“. Flößer versteht seine Analyse als Grundlagenarbeit, die es wert sei vertieft zu werden. Im Rahmen einer Masterarbeit sei dies nicht zu machen gewesen. Ihm sei klar, dass auch vorhandene Lokalzeitungen mit ihrer Berichterstattung über die AfD die Meinung ihrer Lesenden beeinflussen.

Dass Flößer mit seiner auf Baden-Württemberg konzentrierten Studie eine allgemeine Beobachtung belegt, bestätigt sein Professor André Bächtiger vom Institut für Sozialwissenschaften an der Universität Stuttgart. Studien aus den USA zeigten das gleiche: „In Nachrichtenwüsten wächst das Bedürfnis, extremere Parteien zu wählen.“ Folgt man den Prognosen des Bundesverbands Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) könnte es in Deutschland so kommen wie in den USA: Bis 2025 sollen rund 4.400 Kommunen von keiner Lokalzeitung mehr beliefert werden können. Damit würden 40 Prozent aller deutschen Gemeinden zur Nachrichtenwüste werden. In den 1950er Jahren waren in Deutschland unzählige Lokalzeitungen gegründet worden. Während es 1960 noch 482 regionale Blätter gab, sank die Zahl bis heute drastisch. Allein in den vergangenen zehn Jahren verschwanden nach BDZV-Angaben zwanzig Zeitungen von der Bildfläche.

Die Flensburger Verlegerin Simone Lange ist zuversichtlich, dass sich ihr Konzept für eine ergänzende Wochenzeitung in der lokalen Berichterstattung halten wird. Die Entwicklung der Auflage stimme sie optimistisch. Das Bedürfnis nach einer klassischen Zeitungslektüre sei vorhanden. Abonnenten hätten die Wahl zwischen einem E-Paper und einer gedruckten Ausgabe. Die meisten wählten letztere Variante.

 

Autor*in
Uwe Roth

ist freier Journalist. Er ist Mitglied im Verein Deutsches Institut für Normung und dort im Redaktionskreis für eine DIN Einfache Sprache. Webseite: leichtgesagt.eu

0 Kommentare
Noch keine Kommentare